Geduld
Geduld ist eine der erstrebenswerten Fähigkeiten, die in meinem Umgang mit mir selbst und mit anderen ermutigend wirkt.
Es kann ein großes Lernfeld sein, geduldig mit mir zu sein. Oft bin ich mir gar nicht bewusst, wie ungeduldig ich im Umgang mit mir selbst bin. Mich bei den Selbstgesprächen, die ich so über den Tag verteilt mit mir führe, zu beobachten und diese bewusst wahrzunehmen, kann Interessantes an den Tag bringen! Oft ist das Ganze viel zu flüchtig, meine Gedanken springen von einem Thema zum anderen. Um wahrzunehmen, was ich über mich selbst denke, was ich mir immer wieder sage, kann es sehr hilfreich sein, diese Gedanken bzw. Gespräche über ein paar Tage in Folge aufzuschreiben. Dann sehe ich es „schwarz auf weiß“.
Ich bin mir selbst oft zu langsam. Ich denke oft, ich müsste schon weiter sein: Bei meiner Entwicklung, bei dem, was anderen offensichtlich leicht von der Hand zu gehen scheint. Das müsste ich doch auch können? Warum bin ich mir immer noch unsicher und wer anders prescht scheinbar ganz souverän und mit Leichtigkeit an mir vorbei? Das ist ein großes Lernfeld: Mein Entwicklungstempo anzunehmen. Mir den Entfaltungsraum zu lassen, den ich brauche. Nichts zu erzwingen, denn dann funktioniert es sowieso nicht. Vorwärts zu gehen mit der Motivation zu wachsen und nicht aus der unbewussten Überzeugung heraus, dass ich das doch jetzt endlich mal (langsam?!) hinkriegen müsste. An der Stelle bedeutet Geduld, mich selbst mit meinem Tempo und mit meiner Unvollkommenheit anzunehmen.
Wie ist das in meinem Umgang mit anderen? Auch da habe ich manchmal sehr konkrete Vorstellungen davon, wie der andere sein sollte, was er vielleicht tun oder lassen sollte und wo er doch eigentlich wissen müsste, dass … Und überhaupt, warum klappt das immer noch nicht?! Gerade fällt mir das Laufenlernen aus dem letzten Blogbeitrag wieder ein: Das Tempo des anderen ist genauso individuell wie mein eigenes. Geduld ist an dieser Stelle sehr ermutigend: Ich traue dir und mir zu, dass wir in unserem Tempo unseren Weg gehen. Und ich lasse und gebe uns beiden den benötigten Entwicklungsraum.
Es nützt einem jungen Baum überhaupt nichts, wenn ich an seinen Blättern ziehe, damit er schneller wächst. Im Gegenteil: Es zerstört vielleicht sogar das, was schon gewachsen ist. Es wirft ihn unter Umständen in seinem Wachstumsprozess zurück und bindet Ressourcen für Wiederherstellung, die er für das Wachstum hätte nutzen können. Und letztlich ist das im Umgang mit mir und anderen nicht anders.
Wo kann ich heute mir und anderen den Raum für unser jeweiliges Tempo lassen?
Der Baum kann auch nicht seinen Standort verändern, die Stelle, an die er gesetzt ist. Er hat keinen Einfluss darauf, wann es regnet. Wann die Sonne scheint, wann es kalt oder warm ist, wann der Wind weht. Und er steht, wo er steht, auch wenn ein Unwetter aufzieht. Dann kann er nichts anderes tun, als sich dem zu stellen. Wie oft hätten wir so gerne eine andere Ausgangssituation, wären vielleicht gerne gesund, hätten andere finanzielle, berufliche, persönliche Möglichkeiten? Hier kann Geduld auch bedeuten, mich auf das einzulassen, was ich nicht beeinflussen kann, es anzunehmen und „Ja“ dazu zu sagen. Das kann neue Kräfte freisetzen, indem ich sie nicht binde an etwas, was ich nicht verändern kann. Und diese Kräfte damit zur Verfügung habe für Raum, den ich in der aktuellen Situation gestalten kann.
Wo kann ich heute mein „So muss es jetzt sein“ loslassen und abwarten bei Dingen, die ich nicht beeinflussen kann? Mich der aktuellen Situation stellen und das Annehmen des Unveränderlichen trainieren?
Und dann gibt es ja bei dem Thema Geduld auch immer wieder die Beispiele aus der Forschung, wo einzelne Menschen konsequent und sehr ausdauernd immer wieder etwas versucht haben – in der Hoffnung und dem Bewusstsein, dass sie irgendwann Erfolg haben werden, wenn sie dran bleiben und nicht aufgeben. Sie hatten einen langen Atem und sehr viel Geduld; und genau damit haben sie letztlich etwas von großer Bedeutung beitragen können – manche sogar für uns alle. Ein gutes Beispiel ist sicherlich Edison und seine Versuche mit den Glühlampen. Er war geduldig, ist dran geblieben trotz vieler entmutigender Fehlschläge und hat Ausdauer bewiesen. Wie gut!
Wo ist für mich heute „Dranbleiben“ wichtig? Geduldig etwas wieder und wieder zu versuchen und nicht aufzugeben, wenn ich scheitere oder nicht kurzfristig das gewünschte Ergebnis erziele?
Geduld ist ein sehr weites und spannendes Thema. Da fällt mir ein Gebet des Theologen Reinhold Niebuhr ein:
Gott, gibt mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Ich wünsche uns allen gute und ermutigende Erfahrungen beim Anwenden und Leben der erstrebenswerten Qualität Geduld – im Umgang mit uns selbst und in der Begegnung mit anderen.
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